Gießener Anzeiger, 02. November 2024
Lindener Familien haben Doppelchancen
Bauland in der Zuzugs-Stadt ist rar – »Nördlich Breiter Weg« geht weiter mit Bauplätzen
VON ERNST WALTER WEISSENBORN
Linden. Linden ist gewerbestark und Zuzugskommune. Jeder will dort wohnen, nahe an der Stadt Gießen und der A45, die viele Pendler nicht nur nach Frankfurt bringt. Aber auch mit Regionalbahnanbindung ins Rhein-Main-Gebiet. Idealeres gibt es nicht, erkauft durch steigende Lärmbelastung hin zur Autobahn, die zukünftig sechsspurig ausgebaut werden soll.
In unserer Serie »Bauen auf dem Land« hat der Anzeiger Bürgermeister Fabian Wedemann (CDU) im Rathaus besucht. Der Verwaltungssitz liegt eigentlich auf Leihgesterner Gemarkung. Großen-Linden im Westen trennt die Bahnlinie, die die Siedlung durchschneidet. Keine idealen Bedingungen um Einheit zu schaffen. Dreifach begrenzt ist zudem das Stadtgebiet: im Westen von der A485, im Süden der A45 und im Norden durch den Lindener Wald.
Eine weitere Siedlungsproblematik entzündet sich am Lückebach, der sich quer von West nach Ost in Richtung Pohlheim schlängelt und in dessen Bereich der Naturschutz und die Gründung die Bebauung einschränkt. So präsentiert sich Linden nördlich mit dem Forst und »Am Mühlberg « horizontal wie auch westlich vertikal von der Bahn durchschnitten, stadtplanerisch eine Herausforderung.
Ostentwicklung unwahrscheinlich
Über eine eher unwahrscheinliche Ostentwicklung wird im Magistratssitzungszimmer nur am Rande gesprochen, wenn es um zukünftige Bebauung geht. Nicht von ungefähr: Westlich der Gießener Straße hat Linden schon die erste von drei mittelfristigen Optionen gezogen. Zwischen Bahnlinie im Westen und Gießener Straße wird eine neue »Zwiebelschale« an Bebauung hinzugefügt: »Nördlich Breiter Weg« heißt das Ganze, direkt angrenzend an die Grundschule und zwei moderne Kitas.
Der erste Bauabschnitt ist gefüllt, für den zweiten werden bereits Grundstücke angekauft. Bis zum Bahnviadukt in der Verlängerung Mittelweg in Höhe des Unternehmens Tucker wird es im dritten und letzten Bauabschnitt reichen.
Ob ein Baugebiet östlich der Gießener Straße gespiegelt einmal »Hinter der Wiesenstraße « heißen wird, ist eine andere Frage. Die nächste Wohnraum-Schale auf Leihgesterner Gemarkung würde ein jeder beim Blick auf die Karte hier vermuten. Doch das wird in den nächsten zehn Jahren nicht geschehen.
»Der kommende Regionalplan sieht das nicht als Siedlungsfläche vor«, betont Wedemann. In Großen-Linden gibt es kein großes Entwicklungspotenzial mehr. Diskutiert wurde in der südlichen Verlängerung des Arnsburger Weges am Ortsrand nahe der Bahntrasse ein Baugebiet. »Dort ist wegen der Stromtrasse »wohnen « nicht möglich, Gewerbe hingegen schon«, sagt Lindens Bürgermeister Wedemann dazu.
63 Euro für den Quadratmeter Grünland, das später erschlossen wird, zahlt die Stadt. 220 Euro nahm dann der Projektentwickler, die Hessische Landgesellschaft, im ersten Bauabschnitt »Nördlich Breiter Weg« für erschlossenes Bauland. Das sind die aktuellen Preise in Linden. Mittlerweile wohnen hier 320 Neubürger. »Wir haben für die Bauland-Vergabe ein internes Punktesystem, aber keinen Grundsatzbeschluss. Das war schon immer so. Berufstätige Lindener mit Kindern haben Doppelchancen auf Baugrund.« Mit dem zweiten Bauabschnitt »Nördlich Breiter Weg« rechnet der Bürgermeister allerdings erst in zwei bis drei Jahren: »Wenn wir in die Planung einsteigen, dann gibt es auch eine Warteliste. Derzeit nicht.«
Wie sieht es mit der Innenverdichtung aus? 20 freie Bauplätze hat Wedemann für die beiden Stadtteile zählen lassen. Deswegen sei die Umsetzung einer regulativen Gewerbesteuer C in Linden auch kein Thema. Wer es sich leisten könne, einen Bauplatz brachliegen zu lassen, der zahle auch die Grundsteuer C, ist sich Wedemann sicher. Eine Einführung würde den Verwaltungsaufwand nicht lohnen.
Besonderes Großbau-Projekt
Eines der besonderen Projekte der Innenverdichtung im Kreis Gießen außer der Stadt ist ein geplanter Großbau mit 120 Wohnungen 300 Meter lang im Bereich Bahnhof. Das Projekt ist umsetzungsreif, liegt aber vorerst vonseiten des privaten Entwicklers Grekon um Daniel Beitlich auf Eis. Es soll besonders Zugpendler Richtung Frankfurt ansprechen.
Doch allein mit dem Wohnen ist es in Linden wie auch andernorts nicht getan, Arbeitsplätze bringen Einkommensteueranteile. Oberhalb des Friedhofs in Großen-Linden zwischen Frankfurter Straße und A485 gibt es eine Potenzialfläche für Gewerbe, immerhin 6,2 Hektar groß. Und in der südlichen Verlängerung des Freibades ein weiteres Areal, auf dem einst ein Gärtnerbetrieb angesiedelt war. Mit dem Regierungspräsidium würden Gespräche zur Umsetzung geführt. Problematisch sei im Bereich das Überschwemmungsgebiet am Dießenbach. All das kann Linden alleine planen.
Eine der schwierigsten, aber auch riesigen Gewerbeflächen mit großem Potenzial verläuft parallel zur A45 zwischen dem Südkreis bis nach Lützellinden an der Autobahn entlang. 90 Prozent zählen davon zu Linden, sagt Wedemann, das sich mit dem Oberzentrum Gießen interkommunal darüber zu einigen hätte, da die Erschließung von Lützellindener Seite her erfolgen müsste. Bisher gab es kein Einsehen des Oberzentrums, mit dem Unterzentrum gemeinsame Sache zu machen. Aktuell haben die Grünen/Die Linke in einem Ausschuss der Regionalversammlung sogar dafür plädiert, die Fläche »Pfaffenpfad« ganz aus dem kommenden Regionalplan zu streichen. Ihr Sprecher in der Angelegenheit, der Gießener Bürgermeister Alexander Wright (Grüne), der auch Mitglied der Fraktion der Grünen/Die Linke in der Regionalversammlung ist, begründete den Antrag. Es gebe an der Autobahn wertvolle Ackerflächen. Beide konnten sich aber nicht durchsetzen. Die Potenzialfläche bleibt im Regionalplanentwurf, entschieden die anderen Parteien.
Reizthema »Pfaffenpfad«
Schon unter Lindens Ehrenbürgermeister Dr. Ulrich Lenz (CDU) war kein Einvernehmen mit der Lahnstadt für ein gemeinsames Vorgehen zu erzielen. Damals wurde allerdings gemunkelt, es ging Gießen vorrangig darum, zunächst das ehemalige US-Depot für Gewerbe und Wohnen zu entwickeln, das heute gefüllt ist. Konkurrenzgebiete an einer Autobahn seien damals nicht förderlich gewesen.
Wedemann will jedenfalls vorerst keine große Energie in das Projekt stecken, obwohl es regelmäßig Anfragen von größeren Firmen gebe. Es wolle dort letztlich auch kein Landwirt seinen Acker verkaufen.
Und was geht gar nicht? »Die landwirtschaftlichen Flächen in Leihgestern in Richtung Langgöns würden wir nie verbauen, die Lückebachaue ist ein FFH-Gebiet und Richtung Watzenborn-Steinberg gibt es Streuobstwiesen«, umreißt der Lindener Rathauschef die absoluten Grenzen der Bebaubarkeit: »Unsere Gemarkung ist nicht so groß.«
Und wenn ein weiterer Bevölkerungsschub mit dem zweiten Abschnitt im Neubaugebiet »Nördlich Breiter Weg« ausgelöst wird, dann kommt natürlich wieder der Nachwuchs ins Spiel, der Betreuung und Bildung benötigt.
Die Wiesengrundschule wird nicht nur deswegen erneut vom Schulträger, dem Kreis, erweitert. Mit der Kita-Versorgung ist allerdings die Stadt betraut. »Wir haben derzeit eine Warteliste von 35 Kindern (Anmerk. der Red.: Stand Mitte Oktober). Ich könnte mir vorstellen, dass man eine modulare Kita wie in Lang-Göns mit den privaten Trägern wie dem DRK oder den Johannitern umsetzt. « In Lang-Göns wurde ein Bau in Modul-Holzbauweise für einen Zeitraum von maximal vier Jahren errichtet.
Archivfoto: Wißner
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ZAHLEN AUS LINDEN
1976 hatte Linden 9774 Einwohner. Mit Stand 2023 sind es bereits 13 600. Im großen Baugebiet »Am Brautgarten« entstanden ab 1980 Häuser. Es sind etwas über 15 Hektar, von denen rund 4,5 Hektar auf Straßen und öffentliche Grünflächen entfallen. »In der Imsbach « wurde ab 2007 auf 3,5 Hektar besiedelt. (ww)